«V C. L.R.James Die schwarzen Jakobiner Toussaint L'Ouverture und die San-Domingo-Revolution Titel der englischen Originalausgabe: „The Black ...»
ATLANTISCHER OZEAN
V
C. L.R.James
Die schwarzen
Jakobiner
Toussaint L'Ouverture und
die San-Domingo-Revolution
Titel der englischen Originalausgabe:
„The Black Jacobins"
Inhaltsverzeichnis
Prolog 7
Das Eigentum 11
Die Besitzer 34
Parlament und Eigentum 76
Die Massen San Domingos beginnen 100
Die Pariser Massen vollenden es 136
Der Aufstieg Toussaints 165
Die Mulatten versuchen es und scheitern Abermals die weißen Sklavenhalter 197 Die Vertreibung der Briten 226 Toussaint ergreift die Macht 255 Der schwarze Konsul 273 Die Bourgeoisie trifft Anstalten, die Sklaverei wiederherzustellen 307 Der Unabhängigkeitskrieg 329 Nachwort 435 Bildnachweis 446 Prolog Christoph Kolumbus landete in der Neuen Welt zuerst auf der Insel San Salvador. Nachdem er Gott gelobt hatte, forschte er eifrig nach Gold. Die einheimischen Indianer waren friedfertige und freundliche Leute. Sie empfahlen ihm Haiti, eine große Insel (annähernd von der Ausdehnung Irlands), wo dies gelbe Metall reichlich zu finden sei. Als eines seiner Schiffe strandete, halfen ihm die haitischen Indianer so bereitwillig, daß sehr wenig verlorenging, und von den Gegenständen, die sie an Land schafften, wurde kein einziger gestohlen.
Die Spanier, die fortgeschrittensten Europäer jener Zeit, annektierten die Insel, nannten sie Hispaniola und unterstellten die rückständigen Einwohner ihrem Schutz. Sie führten das Christentum ein, Zwangsarbeit in den Bergwerken, Mord, Notzucht, Bluthunde, unbekannte Krankheiten und eine künstliche Hungersnot (indem sie Bodenkulturen zerstörten, um die Rebellen auszuhungern). Infolge dieser und anderer Erfordernisse der höheren Zivilisation verringerte sich die Zahl der Ureinwohner in fünfzehn Jahren von schätzungsweise einer halben, vielleicht einer ganzen Million auf sechzigtausend.
Der Dominikanerpriester Las Casas, ein Mann mit Gewissen, fuhr nach Spanien, um für die Aufhebung der Sklaverei zu plädieren. Aber wie sollte die Kolonie ohne Druck fortbestehen?
Das Christentum war der ganze Lohn, den die Ureinwohner erhielten, und gute Christen konnten sie sein, ohne in den Minen zu arbeiten.
Die spanische Regierung entschied sich für einen Kompromiß.
Sie schuf ein Gesetz, das repartimientos, Zwangsarbeit, dem Buchstaben nach beseitigte, während ihre Vertreter in den Kolonien sie weiter praktizierten. Las Casas, von der Befürchtung getrieben, am Ende einer Generation eine ganze Population ausgelöscht zu sehen, suchte einen Ausweg. Er empfahl, robustere Arbeitskräfte, Neger aus dem bevölkerungsreichen Afrika einzuführen; 1517 genehmigte Karl V. den Export von fünfzehntausend Sklaven nach San Domingo, und so bescherten Priester und König der Welt den amerikanischen Sklavenhandel und die amerikanische Sklaverei.
Die spanische Siedlung, die Kolumbus gegründet hatte, befand sich im Südosten der Insel. 1629 ließen sich umherziehende Franzosen sechs Meilen von der Nordküste San Domingos entfernt auf der kleinen Insel Tortuga nieder. Engländer und Holländer aus Santa Cruz folgten. Tortuga bot ihnen ein gesundes Klima, und Millionen wilder Rinder durchstreiften das westliche San Domingo. Sie konnten gejagt werden und lieferten den Siedlern Fleisch und Leder. Die verschiedensten Leute kamen nach Tortuga, Straftäter, um sich der Gerechtigkeit zu entziehen, entlaufene Galeerensklaven, zahlungsunfähige Schuldner, Glücksritter, die das Abenteuer suchten oder rasch zu Wohlstand gelangen wollten, Verbrecher jeder Art und aller Nationalitäten. Fast dreißig Jahre lang schlachteten sich Franzosen, Briten und Spanier gegenseitig ab. Eine Zeitlang besaßen die Briten faktisch die Insel, aber 1659 brachten französische Freibeuter sie in ihre Gewalt. Sie strebten die Oberhoheit Frankreichs an und verlangten ein Oberhaupt sowie einige Frauen. Von Tortuga aus schufen sie in San Domingo eine feste Basis und übersiedelten dorthin. Um den Rinderbestand entscheidend zu dezimieren und die unverschämten Eindringlinge zu vertreiben, veranstalteten die Spanier eine große Jagd und töteten sämtliche Stiere, die sie aufspüren konnten. Die Franzosen rächten sich, indem sie Kakao anbauten, später Indigo und Baumwolle. Auch Zuckerrohr kannten sie bereits. Da ihnen Kapital fehlte, überfielen sie die englische Insel Jamaika und stahlen Geld und zweitausend Neger. Franzosen, Briten und Spanier unternahmen Angriffe und Gegenangriffe, wüteten mit Feuer und Schwert, 1697 wurde im Frieden von Rijswijk zwischen Frankreich und Spanien der legitime Anspruch der Franzosen auf den Westteil der Insel anerkannt. 1734 begannen die Kolonisten Kaffee anzubauen. Das Land war fruchtbar, Frankreich bot einen guten Absatzmarkt, aber es mangelte an Arbeitskräften. Zusätzlich zu Negern wurden Weiße ins Columbus landet 1492 an der Küste der Insel Haiti, welche er Hispaniola nennt. Er läßt ein hölzernes Kruzifix errichten. Von dem Cacio (König) der Insel, Guacanarillus, wird er freundlich aufgenommen und mit vielen Geschenken bedacht.
Land geholt, engages, die nach Ablauf einiger Jahre ihre Freiheit erhielten. Die Bestimmungen für die schwarzen Sklaven und die weißen engages waren in den frühen Gesetzen ziemlich gleich, aber unter den Lebensbedingungen jener Tage konnten die Weißen das Klima schlechter vertragen. So brachten die Sklavenhändler immer mehr Neger ins Land. Ihre Zahl stieg sprunghaft von Jahr zu Jahr, bis der Abzug aus Afrika in die Millionen ging.
I
Das Eigentum
Die Sklavenjäger suchten die Küste Guineas heim. Wenn sie ein Gebiet verheerten, wandten sie sich westwärts, dann nach Süden, Jahrzehnt für Jahrzehnt, am Niger vorbei, die kongolesische Küste entlang, passierten Loango und Angola, umschifften das Kap der Guten Hoffnung, und 1789 stießen sie sogar bis nach Mocambique auf der Ostseite Afrikas vor. Guinea blieb ihr Hauptjagdgrund. Von der Küste aus organisierten sie Expeditionen ins Landesinnere, hetzten die Stämme gegeneinander, auf Tausenden von Quadratmeilen bekämpften sich einfache Menschen mit modernen Waffen. Die damaligen Propagandisten behaupteten, so grausam der Sklavenhandel immer sei — in Amerika lebe der afrikanische Sklave glücklicher als in der heimatlichen Zivilisation. Auch unserem Zeitalter ist die Propaganda nicht fremd. Wir übertrumpfen unsere Vorfahren zwar an Systematik und Organisation, doch gelogen haben sie nicht minder glatt und unverschämt als wir. Im sechzehnten Jahrhundert bildete Zentralafrika eine Stätte des Friedens und einträchtigen Zusammenlebens. 1 Händler reisten Tausende Meilen von einer Seite des Kontinents zur anderen, ohne belästigt zu werden. Die Stammesfehden, vor denen die europäischen Piraten die Menschen angeblich bewahrten, waren bloße Scheingefechte. Es galt als große Schlacht, wenn ein halbes Dutzend Menschen getötet wurden. Der Sklavenhandel traf eine Bauernschaft, die den Leibeigenen weiter Gebiete Europas in mancherlei Hinsicht überlegen war. Das Stammesleben zerfiel, und Millionen entwurzelter 1 Vgl. die Werke von Professor Emil Torday, einem der größten Afrikaforscher seiner Zeit, insbesondere einen Vortrag, der 1931 in Genf vor einer Gesellschaft zum Schutz der Kinder Afrikas gehalten wurde.
Afrikaner fielen übereinander her. Die ständige Vernichtung der Ernte führte zum Kannibalismus; die gefangenen Frauen wurden Konkubinen und untergruben die Stellung der Gattin.
Stämme mußten Sklaven beschaffen oder wurden selbst in die Sklaverei verkauft. Ohne Gewalt und Grausamkeit gab es kein Überleben. 2 Die Einfriedigungen aus grinsenden Schädeln, die Menschenopfer, der Verkauf eigener Kinder als Sklaven, diese schrecklichen Dinge waren Produkte eines unerträglichen Drucks auf die afrikanischen Völkerschaften, die über die Jahrhunderte in dem Maße verrohten, wie die Anforderungen des Gewerbes wuchsen und die Zwangsmethoden vervollkommnet wurden.
Die Sklaven wurden im Landesinnern gesammelt, zu Kolonnen aneinandergekettet, und um Fluchtversuche zu verhindern, belud man sie mit schweren, vierzig- bis fünfzigpfündigen Steinen. Dann traten sie den langen Marsch zum Meer an, mitunter mehrere hundert Meilen, und die Schwächlichen und Kranken stürzten und starben im afrikanischen Dschungel. Einige wurden per Boot zur Küste gefahren. Sie lagen tagelang gefesselt auf dem Boden, das Gesicht der Tropensonne und dem Tropenregen ausgesetzt, die Rücken im Wasser, das nie ausgeschöpft wurde. War der Sklavenhafen erreicht, wurden sie zur Begutachtung durch die Käufer in Käfige gesperrt. Tag und Nacht blieben Tausende von Menschen in diesen stinkenden Verschlägen eingepfercht. Kein Europäer konnte es dort länger als eine Viertelstunde aushalten, ohne ohnmächtig zu werden. Die Afrikaner verloren das Bewußtsein und kamen wieder zu sich oder starben.
Die Sterberate betrug über zwanzig Prozent. Draußen erwartete der Kapitän des Sklavenschiffes die Leerung der „Käfige" mit so ruhigem Gewissen, daß einer von ihnen in den Pausen der Profitjagd für den britischen Kapitalismus die britische Religion bereicherte und das Kirchenlied „Wie süß der Name Jesus klingt!" komponierte.
Im Laderaum des Schiffes wurden sie auf mehrstöckige Stellagen gepackt, und jeder bekam nur einen vier bis fünf Fuß langen und zwei bis drei Fuß hohen Abschnitt zugewiesen, wo er weder ausgestreckt liegen noch aufrecht sitzen konnte. Entgegen allen 2 Vgl. den oben erwähnten Vortrag Professor Tordays.
so beharrlich verbreiteten Lügen von der Fügsamkeit der Neger rissen die Revolten beim Einschiffen und an Bord nicht ab. Das hatte zur Folge, daß man sie ankettete, die rechte Hand gegen das rechte Bein, die linke Hand gegen das linke Bein, und die Reihen wurden durch lange Eisenstangen verbunden. In dieser Lage verbrachten sie die Überfahrt. Nur einmal täglich kamen sie an Deck, damit sie sich die Beine vertreten und die Matrosen die „Eimer säubern" konnten. Doch wenn sie rebellierten oder das Wetter schlecht war, blieben sie wochenlang unten. Die Ballung so vieler nackter Menschen, ihr geschundenes, schwärendes Fleisch, die stinkende Luft, die verbreitete Ruhr, die Anhäufung von Dreck ließen den Laderaum zur Hölle werden. Bei Sturm wurden die Luken verschalkt, und in der stickigen, ekelerregenden Finsternis wurde die Fracht bei jeder Bewegung des Schiffes hin und her geschleudert, und nur die Ketten auf der blutüberströmten Haut hinderten die Sklaven, aus der Stellage zu stürzen. Kein Platz der Erde, vermerkte ein zeitgenössischer Schriftsteller, enthielt so konzentriertes Elend wie der Laderaum eines Sklavenschiffes.
Zweimal täglich, um neun und um sechzehn Uhr, gab es Essen.
Für den Sklavenhändler war die Fracht Handelsware und nicht mehr. Ein Kapitän, der durch eine Flaute oder widrige Winde aufgehalten wurde, vergiftete sie.3 Ein anderer tötete einige seiner Sklaven, um die übrigen mit ihrem Fleisch zu ernähren. Sie starben nicht nur an den Folgen dieser Lebensbedingungen, sondern auch aus Kummer, Wut und Verzweiflung. Sie unternahmen ausgedehnte Hungerstreiks, streiften die Ketten ab und stürzten sich in fruchtlosen Versuchen des Aufbegehrens auf die Besatzung. Was konnten diese Stammesangehörigen aus dem Innern Afrikas an Bord eines komplizierten Segelschiffes ausrichten? Um ihre Stimmung zu heben, wurden sie einmal täglich zum Tanzen an Deck geschickt. Einige ergriffen die Gelegenheit, um über Bord zu springen und Triumphschreie auszustoßen, bis sie unter der Oberfläche verschwanden.
Die Angst führte zu zügelloser Grausamkeit der Schiffsbesatzung. Ein Kapitän tötete einen Sklaven, und um den übrigen 3 Vgl. Pierre de Vaissiere, Saint-Domingue (1629-1789). Paris, 1909. Das Werk enthält eine bewundernswerte Zusammenfassung.
Furcht einzuflößen, teilte er Herz, Leber und Eingeweide in dreihundert Stücke und ließ jeden einen Bissen essen. Allen, die sich weigern wollten, drohte er die gleiche Strafe an.4 Solche Vorfälle blieben keine Seltenheit. Unter den gegebenen Umständen waren (und sind) sie unvermeidlich. Doch verschonte das System auch die Sklavenhändler nicht. Alljährlich starb ein Fünftel der am Afrikaner-Handel Beteiligten.