«Pädagogik Anja Tervooren, Nicolas Engel, Michael Göhlich, Ingrid Miethe, Sabine Reh (Hg.) Ethnographie und Differenz in pädagogischen Feldern ...»
Anja Tervooren, Nicolas Engel, Michael Göhlich,
Ingrid Miethe, Sabine Reh (Hg.)
Ethnographie und Differenz in pädagogischen Feldern
Pädagogik
Anja Tervooren, Nicolas Engel, Michael Göhlich,
Ingrid Miethe, Sabine Reh (Hg.)
Ethnographie und Differenz
in pädagogischen Feldern
Internationale Entwicklungen
erziehungswissenschaftlicher Forschung
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Eine Einleitung Anja Tervooren, Nicolas Engel, Michael Göhlich, Ingrid Miethe & Sabine Reh | 9
I. DIE FIGUR DER DIFFERENZ ALS THEORETISCHE
GRUNDLAGE ERZIEHUNGSWISSENSCHAFTLICHER
ETHNOGRAPHIE
Relative und radikale Differenz – Herausforderung für die ethnographische Forschung in pädagogischen Feldern Norbert Ricken & Sabine Reh | 25 Landscapes of Difference and Inequality: Educational Ethnography in the United States Margaret Eisenhart | 47 Theorie Gestalten.Auf dem Weg zu einer empirisch gestützten Bildungstheorie Hans-Rüdiger Müller & Dominik Krinninger | 63 Praktiken des Differenzierens.
Zu einem Instrumentarium der poststrukturalistischen Analyse von Praktiken der Differenzsetzung Daniel Wrana | 79 Ethnographische Bildungsforschung Revisited Herbert Kalthoff | 97
II. DIFFERENZ UND DIFFERENZEN IN METHODOLOGIE
UND METHODEN ETHNOGRAPHISCHERZIEHUNGSWISSENSCHAFTLICHER FORSCHUNG
Identifying Scandinavian Ethnography: Articulating Notions of Theory and Objectivity in the Ethnography of Education Dennis Beach | 119 Differenz beobachten?Jürgen Budde | 133 Notwendige Differenzbearbeitungen: Selbst- und Fremdbeobachtung im ethnographischen Schreiben Birgit Althans | 149 Audioethnographie und Autoethnographie Siegfried Saerberg | 167 The ›moral ethnographer‹: Chancen und Risiken der Entdifferenzierung von Wissenschaft, Kunst und Politik Alexander Geimer | 185
III. PHÄNOMENE, KONSTRUKTIONEN UND PRODUKTIONEN
VON DIFFERENZEN IN UNTERSCHIEDLICHEN
PÄDAGOGISCHEN FELDERN
ETHNOGRAPHIE UND ORGANISATION
Schools as Organizations: On the Question of Value Consensus David N. Gellner | 205 Praxismuster der Differenzbearbeitung.Zu einer pädagogischen Ethnographie der Organisationen Michael Göhlich | 225 Organisation(en) der Differenz.
Übersetzungsanforderungen an eine pädagogische Ethnographie von Organisationen Nicolas Engel | 241 Organisation, Profession und die Herstellung von Differenz Peter Cloos | 257
ETHNOGRAPHIE UND SCHULISCHE BILDUNG
(Un-)Doing Ethnicity im Unterricht – Wie Schüler/innen Differenzen markieren und dekonstruieren YalÕz Akbaba | 275 »Das hat der Stefan alleine gemacht«.Zur Herstellung der Unterscheidung behindert – nichtbehindert in einer Grundschulklasse Ira Schumann | 291 What (Cultural) Difference Does it Make?
Children of Immigrant Background between Colour-blind and Culturalist Ideologies at Primary Schools in Catalonia Beatriz Ballestín | 309 Inklusion als Exklusion.
Differenzproduktionen im Rahmen des schulischen Anerkennungsgeschehens Bettina Fritzsche | 329
ETHNOGRAPHIE UND LEBENSALTER
Von Diversität zu Differenz.Ethnographische Beobachtungen zum Umgang mit Plurilingualität in frühpädagogischen Settings Sascha Neumann & Claudia Seele | 349 Differenzdokumentationen in Einschulungsverfahren.
Ethnographische Instrumentenanalyse am Beispiel von Beurteilungsbögen in Grundschulen Helga Kelle & Anna Schweda | 367 Sich zueinander ins Verhältnis setzen.
Zur Verräumlichungspraxis im Zusammenleben als Familie Sebastian Schinkel | 387 Students as Young People: The Process of Subjectivization Eduardo Weiss | 407 Autorinnen und Autoren | 423 Ethnographie als internationales und interdisziplinäres Projekt Eine Einleitung
ANJA TERVOOREN, NICOLAS ENGEL, MICHAEL GÖHLICH,
INGRID MIETHE & SABINE REH
Ethnographische Forschungsansätze gewinnen in den unterschiedlichen erziehungswissenschaftlichen Feldern im deutschsprachigen Raum und international kontinuierlich an Bedeutung. Die Ethnographie mit ihrem multimethodischen Zugang und ihrem praktischen Ausgangspunkt, der leiblichen Anwesenheit der Forscher oder Forscherinnen im Feld, bietet besondere Potentiale, um Felder eines immer wieder Ambivalenzen und Differenzen erzeugenden und durch Ungewissheit gekennzeichneten pädagogischen Tuns und Prozesse von Selbst- und Subjektbildungen in den Blick zu nehmen.Für diese These lassen sich einige Argumente nennen. Hier soll aber vor allem eines in den Vordergrund gestellt werden: Die Ethnographie blickt auf eine lange Tradition der Erforschung bzw. der Konstruktion von Differenzen zurück und profitiert davon bei der Analyse aktuell zu beschreibender Phänomene.
Die Auseinandersetzung mit Differenz – verstanden als »das Fremde« – ist zunächst in der Ethnologie, die international unter Variationen des Namens »Anthropologie« firmiert, eine Grundfigur und wurde in der zweiten Hälfte des
20. Jahrhunderts eines der zentralen Themen der Philosophie und Kulturwissenschaften (Ricken/Balzer 2007). Die Konstruktionen von Differenz in pädagogischen Feldern waren schon immer ein Thema pädagogischer Theorie und Analyse, gerieten aber seit den 1970er Jahren verstärkt in den Fokus erziehungswissenschaftlicher Forschung. Nach der Wende zum dritten Jahrtausend wurden sie zum Brennpunkt erziehungswissenschaftlicher Auseinandersetzung.
10 | A. TERVOOREN, N. ENGEL, M. GÖHLICH, I. MIETHE & S. REH Die Konjunktur ethnographischer Forschungszugänge in den unterschiedlichen erziehungswissenschaftlichen Forschungsfeldern zeigt einige Besonderheiten internationaler und nationaler Forschungstraditionen auf. Im internationalen Kontext besteht trotz der Komplexität, die in der Analyse sehr spezifischer, lokal situierter Felder im Kontext ethnographischer Studien entwickelt wurde, bis heute eine hohe Anschlussfähigkeit dieser Forschungsrichtung innerhalb des qualitativen Paradigmas. Während die qualitativen Ansätze im deutschsprachigen Raum häufig auf einzelne Methoden, Bezugstheorien und daraus entwickelte Auswertungsverfahren zurückgreifen, weist sich die Ethnographie dadurch aus, dass je nach Gegenstand Methoden ausgewählt, theoretische Perspektiven entwickelt und Erhebungs- und Auswertungsmethoden eng miteinander verschränkt werden. Während in Deutschland ethnographische Forschung lediglich einen Teilbereich der qualitativen Sozialforschung beschreibt, steht dieser Begriff international oft als Synonym für jede Form qualitativer Forschung. Darin zeigt sich die große Bedeutung ethnographischer Ansätze.
Im Folgenden wird zunächst in einem ersten Schritt der grundlegende Bezug der Ethnographie auf die Figur der Differenz anhand ihrer Internationalität und Interdisziplinarität in seiner historischen und aktuellen Entwicklung kurz entfaltet. In einem zweiten werden die einzelnen Beiträge des Bandes, die sowohl einen Einblick in die deutschsprachige Diskussion als auch in die internationale ethnographische Forschungslandschaft geben, vorgestellt.
INTERNATIONALE UND INTERDISZIPLINÄRE
ETHNOGRAPHISCHE TRADITIONEN:
FREMDHEITS- UND DIFFERENZRELATIONEN
Gerade in Bezug auf ihre historischen, theoretischen und forschungspraktischen Wurzeln in Ethnologie und Anthropologie liefert die Ethnographie stets Interpretationen von als »fremd« begriffenen Kulturen und arbeitet seit der »Krise der Repräsentation« in dem Bewusstsein, dass gerade die verstehende Aneignung des Differenten immer auch (post-)koloniale Beziehungen politischer und ökonomischer Abhängigkeit transportiert. Ethnographie konstituiert sich bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts aufgrund des durch den Kolonialismus wachsenden Bedarfs nach einem Wissen über das Fremde im Kontext eigener und als fremdbegriffener Kulturen vor allem im britischen und US-amerikanischen Kontext.
Sie wird aus zwei Wissenschaftstraditionen gespeist, die wiederum in unterschiedlichen nationalen Kontexten verankert sind, und weist von Beginn an eine große Flexibilität auf: Auf der einen Seite die ältere, die im deutschsprachigen Raum »Ethnologie« genannt wird und sich als Wissenschaft vom Fremden versteht (Kohl 2012) und auf der anderen die Soziologie, die sich, teilweise mit der Ethnologie entliehenen Methoden, der Analyse der eigenen Gesellschaft widmet.
Diese Tradition zweier Disziplinen, in die im Verlauf noch weitere einfließen wie die Psychologie und die Erziehungswissenschaft, schafft eine spannungsreiche und produktive Beziehung (Atkinson et al. 2001: 2).