«Nr. 77 – September 2006 Osteuropaforschung – 15 Jahre „danach“ Beiträge für die 14. Tagung junger Osteuropa-Experten Veranstaltet von ...»
Internationale Profitorientierung stabilisiert und akzeptiert den Staus Quo. (Vgl. Wahlen in • Aserbaidschan und Kasachstan 2005) Die ersten zwei Punkte verdeutlichen die Notwendigkeit für NGOs gerade im Bereich der untransparenten Allokationskanäle anzusetzen und somit die Bevölkerung für die undemokratischen Mechanismen zu sensibilisieren. Demgegenüber steht das fehlende Verständnis für Transparenz in der Politik (Punkt 3 und 4). Das Bewusstsein, sich für die eigene Politik und Staatsausgaben umfassend rechtfertigen zu müssen, ist ein langsamer Prozess, der vor allem von NGOs initiiert und gefördert wird. Nicht unwesentlich für die Stabilisierung autoritärer Systeme ist ein gewisses internationales ökonomisches Interesse am Erhalt des politischen Status quo (Punkt 5). Die günstigen Bedingungen für ausländische (private wie staatliche) Investitionen der ersten Jahre der Unabhängigkeit konsolidieren bis heute eine Art unsichtbaren Friedensvertrag zwischen Regime-Akteuren.3 Demgegenüber steht die These, dass Regime wie Kasachstan die westlichen Demokratiebestrebungen akzeptieren, um mit dem dadurch akquirierten westlichen Kapital arbeiten zu können (Schatz 2006). Dieses Dilemma kann von NGOs gerade im Bereich von Transparenzforderungen gemildert werden. Dafür ist eine klare Strategie, die die Grundprobleme von Korruption und mangelnder Transparenz als wesentliche Komponenten beinhaltet, notwendig (Mungiu-Pippidi 2006).
Beweisführend für diese These sind die fehlenden bzw. diplomatischen Kritiken nach den Wahlen 2005 in Kasachstan (und anderen GUS-Staaten) sowie die fehlende internationale Aufmerksamkeit bzgl. der politischen Morde, einschneidende Meinungs- und Pressfreiheit und fortschreitenden politisch-autoritären Tendenzen.
TMOs bilden einen thematisch klassifizierten Arbeitsbereich von NGOs und gliedern sich in internationale und nationale TMOs auf.
Beispielhaft hierfür: Public Association „Tax Standard Formation“ (gegründet 2003), die vor allem auf lokaler Ebene aktiv ist; nationale NGO „Echo“ (1998 gegründet und seit 2004 vereinigt in: International Association „Election & Democracy“), NGO-Koalition „Oil Revenues under Public Oversight“ (2004 im Zuge von EITI gegründet).
Osteuropaforschung – 15 Jahre „danach“ 89 Zweitens und nicht minder wesentlich: Neben den oben angeführten Regime-immanenten Problemen ist für das dysfunktionale Verhalten der Parteien sowie die Konsolidierung des Regimes in Ansätzen auch die Bevölkerung verantwortlich. Diese ist gekennzeichnet durch ein relativ neutrales und unambitioniertes Verhalten gegenüber der Ressourcen- und Budgetpolitik. So gibt es vorerst keine Anzeichen dafür, die Demonstrationen oder ähnliches Aufbegehren gegen die aktuelle Politik oder für Nationalisierungsinitiativen der Ölindustrie aus der Bevölkerung heraus erwarten lassen (siehe die Ereignisse in Liberia/Bolivien 2006).6 NGOs als Door Opener Neben der angerissenen Personalisierung und fehlenden programmatischen Unterfütterung des kasachischen Parteiensystems – charakteristisch in Transformationskontexten – lässt sich eine gewisse Funktionsschwäche auch für den Bereich der Interessenorganisationen konstatieren. Er erweist sich als entsprechend atomisiert und aufgrund schwacher institutioneller und finanzieller aber auch intellektueller Konsistenz nur in Ansätzen effizient. Nicht zuletzt weil Kasachstan über keine zivilgesellschaftliche Tradition verfügt. Trotzdem spielen NGOs im politischen System und in der Gesellschaft eine einflussreichere Rolle als Parteien. Dies zeigt sich vor allem in den für meinen Gegenstand relevanten Initiativen zur stärkeren Transparenz in der Ressourcenpolitik. Hier bemühen sich verschiedene zivilgesellschaftliche Gruppierungen konstant um Dialog mit den staatlichen Strukturen.7 Sie erweisen sich als wichtige Initiatoren und Träger von Debatten und Dialogen mit staatlichen Akteuren für mehr finanzielle Transparenz. Beispielhaft sei hier noch einmal die internationale Transparenzinitiative EITI angeführt. Ziel hierbei ist es politische und wirtschaftliche Akteure zur mehr Transparenz zu bewegen und damit dem so genannten Ressourcenfluch, der sich in Armut, Korruption und autoritären Regimestrukturen manifestiert, entgegenzuwirken. Dafür wurde eine heterogene Gruppe aus Regierungs-, Wirtschafts- und NGO-Vertretern etabliert, die gemeinsam Strategien und Rahmenbedingungen zur Gewährleistung von mehr Transparenz im Bereich der Budgetpolitik und Verteilung von Öleinkünften erarbeitet und in einem Memorandum vorerst institutionalisiert. Ein wesentlicher Mitspieler in diesem Kontext ist die SOROS-Foundation. Sie fungiert als externer Geldgeber und internationaler Akteur, der beim Aufbau nationaler NGOs mitwirkt. Wesentlich ist hierbei das Programm zur Partizipation von NGOs bei der Budgetkontrolle in Kasachstan.8 In Bezug auf die Hauptthese muss jedoch relativiert werden, dass im Rahmen dieses Beitrages keine Idealisierung von NGOs und ihren Liberalisierungsbestrebungen in autoritären Regimen vollzogen werden soll. Wie das Beispiel der nationalen kasachischen NGOs beweist, haben sie nur punktuellen Zugang zu Dialogen mit der Regimeelite (meist im Rahmen von EITIGeprächen). Auch wenn die NGO-Koalition im Rahmen der Umsetzung der EITI-Kriterien die Unterzeichnung des gemeinsamen Memorandums um mehrere Monate verzögern konnte – sie sah die zivilgesellschaftlichen Interessen nicht genügend integriert – kann man nicht von einer wirklichen Lobbyismuschance sprechen. Die kasachische Regimeelite legt die Spielregeln und Einflussmöglichkeiten fest. Jedoch ist gerade in diesem Prozess die Chance für NGOs und ihre Rolle als door opener und watchdog zusehen. Der kasachische Staat baut seinen Legitimitätsanspruch auf die Anerkennung von externen Akteuren (Regierungen, internationalen Organisationen etc.) im Gegensatz zur demokratischen Legitimation durch Wahlen. Dadurch muss er zu einem gewissen Grad die Anwesenheit von internationalen sowie nationalen NGOs und die Empirische Untermauerung anhand von qualitativen Interviews in Kasachstan (Nov. 2005).
So beinhaltet das ´Revenue watch programm` der Soros-Foundation regelmäßige Rundtische zwischen lokalen NGOs und Vertretern der Oblastverwaltung zur Transparenz lokaler Budgets. Vgl. Rundtischprotokoll vom 23.11.05, Almaty/Kasachstan.
Vgl. Projekt ´Encouraging the Participation of NGO’s in the Budget Process`, Bestandteil des intern. Projekts zur Rentenkontrolle. http://www.kazakhstanrevenuewatch.org/?event_id=50. In diesem Kontext Vgl. auch Publikation der Soros-Foundation: Bjudžetnyj Gid. (2005).
90 Beiträge für die 14. Tagung junger Osteuropa-Experten Etablierung von Transparenzstrategien akzeptieren und mittragen. Aus dieser nicht intendierten (accidential) Funktion ergibt sich für nationale NGOs die strategische Möglichkeit, Transparenzbestrebungen nach dem Motto the mask can become the face (Nietszche 1974) zu instrumentalisieren. Auch wenn zu Beginn festgestellt wurde, dass ein Wechsel durch Eliten nicht absehbar sei, so relativiert sich – der Argumentation des Beitrags folgend – diese Behauptung und eine zweite Liberalisierungsphase gemäß der Huntington`schen Konzeption von transplacement ist möglich.
Abschließend bleibt festzuhalten, dass NGOs in Kasachstan ein funktionales Potential besitzen, bedeutende Träger von Transparenzdebatten und Liberalisierungsbestrebungen zu werden.
Denn neben den aufgeführten internationalen Initiativen etablierten Nichtregierungsorganisationen auch nationale Programme zur Kontrolle der Budgetpolitik und zur Eindämmung des systemimmanenten Korruptionsdilemmas, die bis auf die lokale Ebene reichen.9 Demnach sind die kasachischen NGOs auf dem besten Weg ihrer Funktion als Korrektiv zu politischen und wirtschaftlichen Prozessen nachzukommen und Steuerungs- und Legitimationsdefizite des Regimes auszugleichen. Außerdem können sie als langfristige Option zu mehr Demokratisierung wahrgenommen werden.
Literatur:
Curbach, Janina: Global Governance und NGOs. Transnationale Zivilgesellschaft in internationalen Politiknetzwerken. Opladen 2003.
Hale, Henry E.: Democracy, Autocracy and Revolution in Post-soviet Eurasia. In: World Politics. 58 (October 2005). S. 133–165.
Mungiu-Pippidi, Alina: Corruption: Diagnosis and Treatment. In: Journal of democracy. Vol 17.
No. 3. 7/2006. S. 86–99.
Schatz, Edward: Legitimacy Claims and Democracy Promotion. In: International Political Science Review. Vol. 27. No. 3/2006. S. 263–284.
Extractive Industries Transparency Initiative (EITI):
http://www.eitransparency.org/section/countries/_kazakhstan Public Policy Research Centre (PPRC): www.pprc.kz SOROS-Foundation: www.soros.kz Kazakhstan Revenue Watch-Program: www.kazakhstanrevenuewatch.org NGO Coalition Oil Revenue – Under Public Oversight: http://www.publicoversight.kz Transparency Kazakhstan: www.transparencykazakhstan.org International Association “Election & Democracy”: www.electdem.org Public Association “Tax Standards Formation”: www.taxpayers-kz.freenet.kz.
NGO “ECHO”: www.echo.kz Von Seiten des Public Policy Research Centers existieren mehrere Projekte zur Überwachung der öffentlichen Ausgaben; weitere Informationen: www.pprc.kz, www.soros.kz, www.kazachstanrevenuewatch.org.
Wolfram Pergler Zivilgesellschaft im Krieg. Die Entwicklung der Arbeitsbedingungen russländischer NGOs im Bereich Tschetschenien zwischen 1994 und 2006 In folgendem Beitrag, der auf den Erkenntnissen eines einmonatigen Forschungsaufenthaltes in der Russländischen Föderation im Juli und August 2006 aufbaut1, soll der Frage nachgegangen werden, inwieweit sich die Arbeitsbedingungen russländischer NGOs im Bereich Tschetschenien zwischen 1994 (dem Beginn des ersten Tschetschenienkrieges) und den aktuellen Entwicklungen bis inklusive 2006 verändert haben. Durch die Analyse der Arbeitsbedingungen von NGOs als einem bedeutenden Teil der russischen Zivilgesellschaft sollen Rückschlüsse auf die allgemeine Demokratieentwicklung in der Russländischen Föderation gewonnen werden.
Während des ersten Tschetschenienkrieges von 1994 bis 1996 war neben der unzensurierten Berichterstattung über den Krieg in den Medien auch die Arbeit russländischer und internationaler NGOs (damals arbeiteten die meisten NGOs im Bereich der humanitären Hilfe) mehr oder weniger problemfrei möglich. Seit Beginn des zweiten Tschetschenienkrieges im Herbst 1999 hingegen wurde nicht nur die unabhängige Berichterstattung durch restriktive Zugangsbeschränkungen für (in- und ausländische) Journalisten äußerst erschwert, auch die Arbeitsbedingungen russländischer NGOs haben sich zunehmend verschlechtert.